Die Coronavirus-Pandemie Als Ein Ereignis Höherer Gewalt

Die Coronavirus-Pandemie Als Ein Ereignis Höherer Gewalt

Ceyda Akbal Schwimann & Duru Güler

A. DIE CORONAVIRUS-PANDEMIE UND IHR EINFLUSS ALS HÖHERE GEWALT

Der Begriff höhere Gewalt (mücbir sebep) ist im türkischen Recht nicht gesetzlich definiert, wird jedoch nach der Judikatur wie folgt gewürdigt: “ein außergewöhnliches Ereignis, das außerhalb der Tätigkeit oder des Geschäfts des Schuldners oder der verantwortlichen Person stattgefunden hat, das nicht vorausgesehen und verhindert werden konnte und in absoluter und unabwendbarer Weise die Verletzung einer Norm oder einer Verpflichtung verursacht hat. Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen, Feuer und epidemische Krankheiten stellen Ereignisse höherer Gewalt dar” (Entscheidung der Generalversammlung des Kassationsgerichts für zivilrechtliche Angelegenheiten, Entscheidung vom 27.6.2018, 2017/11-90 E., 2018/1259 K).

Obwohl das Ereignis einer epidemischen Krankheit als Ereignis höherer Gewalt akzeptiert wird, muss jeder Fall auf der Grundlage seiner Tatsachen und des Rechtsverhältnisses separat bewertet werden. Wie aus der oben zitierten Definition eindeutig hervorgeht, muss das Ereignis (in diesem Fall eine epidemische Krankheit) der Grund für die Vertragsverletzung sein und die Verletzung in unabwendbarer Weise verursacht haben, um als Ereignis höherer Gewalt zu gelten.

Die Folgen eines Ereignisses höherer Gewalt hängen von den vertraglichen Bestimmungen und dem Sachverhalt ab.

B.VERTRÄGE MIT EINER KLAUSEL ÜBER HÖHERE GEWALT

Viele Vereinbarungen enthalten eine Klausel über höhere Gewalt, die die Folgen eines solchen Ereignisses regelt, insbesondere in Form des Rechts zur Kündigung, einer Befreiung von der Haftung und von der Pflicht zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen. Es ist wichtig, solche Klauseln für jeden Vertrag zu bewerten, um die spezifischen Rechte und Pflichten (zB Benachrichtigungsfristen) zu bestimmen. Türkische Gerichte bewerten den Sachverhalt von jedem Fall und die Bestimmungen des Vertrags, wenn sie einen Fall höherer Gewalt beurteilen. Es ist wichtig zu beachten, dass Ereignisse höherer Gewalt, die keinen Einfluss auf die vertraglichen Verpflichtungen haben, nicht relevant sind. Deswegen muss eine gesonderte Bewertung vorgenommen werden, die die Bestimmungen des Vertrags und die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie sowie der offiziellen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (zB Einstellung des Betriebs, Quarantänemaßnahmen, Reiseverbote und Beschränkungen) auf die vertraglichen Verpflichtungen berücksichtigt.

C.VERTRÄGE OHNE EINE KLAUSEL ÜBER HÖHERE GEWALT

Wenn der Vertrag keine Klausel über höhere Gewalt enthält oder wenn eine Epidemie oder Pandemie nicht unter die Definition der Klausel über höhere Gewalt im Vertrag fällt, wird die rechtliche Situation gemäß den Bestimmungen des anwendbaren Rechts beurteilt. Nach türkischem Recht sind die Regeln über Unmöglichkeit und Härte relevant.

  1. Unmöglichkeit

Gemäß Artikel 136 des türkischen Obligationenrechts (“OR”) erlischt die Verpflichtung, wenn die Erfüllung einer Verpflichtung aus Gründen, die nicht dem Schuldner zuzurechnen sind, unmöglich wird. Dienstleistungen, die bereits von einer der beiden Parteien im Rahmen eines solchen Vertrags erbracht wurden, müssen zurückgegeben werden, und die Transaktion wird effektiv abgewickelt. Wird die Vertragserfüllung teilweise unmöglich (Artikel 137 OR), wird der Schuldner von der Erfüllung des Teils der Verpflichtung befreit, der unmöglich geworden ist, es sei denn, der Schuldner weist nach, dass der Vertrag nicht ausgeführt worden wäre, wäre die teilweise Unmöglichkeit vor der Ausführung vorausgesehen worden. In jedem Fall muss der Schuldner über die Unmöglichkeit so bald wie möglich benachrichtigen und alle Maßnahmen zur Schadensminderung ergreifen.

  1. Härte

Artikel 138 OR sieht die Anpassung aller Arten von Verträgen unter dem Namen “Härte” vor. Wenn ein unerwartetes Ereignis eintritt, das unvorhergesehen war und von den Parteien nicht vorhergesehen werden konnte und nicht dem Schuldner zuzurechnen ist, und die Umstände bei Vertragsabschluss zum Nachteil des Schuldners in einer Weise ändert, dass die Ausführung des Vertrags vom Schuldner gegen den Grundsatz von Treu und Glauben wäre, kann der Schuldner das Folgende fordern:

  • Anpassung des Vertrags gemäß den veränderten Umständen, oder
  • ist die Anpassung nicht möglich, kann der Schuldner den Vertrag widerrufen oder stornieren,

unter der Voraussetzung, dass der Schuldner seine Verpflichtungen nicht erfüllt hat oder seine Verpflichtungen erfüllt hat, indem er sich sein Recht wegen Härte vorbehalten hat.

Aufgrund des Grundsatzes von pacta sunt servanda ist die Anpassung des Vertrags gemäß den veränderten Umständen das primäre Rechtsmittel und erfordert die Intervention eines Richters. Obwohl ein Widerruf oder eine Stornierung keine Intervention eines Richters erfordert, ist es ratsam, das Widerrufs- bzw. Stornierungsrecht durch Gerichtsverfahren auszuüben, da die Anpassung als primäres Rechtsmittel die Intervention eines Richters erfordert und ein Widerruf oder eine Stornierung nur möglich ist, wenn die Anpassung nicht möglich ist.