Die Verschiebung Der Generalversammlungen In Aktiengesellschaften Und Gesellschaften Mit Beschränkter Haftung Wegen Der Coronavirus-Pandemie (Covid-19)

Die Verschiebung Der Generalversammlungen In Aktiengesellschaften Und Gesellschaften Mit Beschränkter Haftung Wegen Der Coronavirus-Pandemie (Covid-19)

Mertcan İpek

Das türkische Handelsgesetzbuch („THGB“) sieht in Artikel 6102 vor, dass Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung innerhalb von drei Monaten nach Ende jedes Geschäftsjahres ordentliche Haupt- bzw Generalversammlungen (hier „Hauptversammlungen“) abhalten müssen. Da es für die Gesellschaften üblich ist, ihr Geschäftsjahr an das Kalenderjahr anzupassen, berufen die meisten Gesellschaften ihre ordentlichen Hauptversammlungen bis Ende März ein.

Wegen der Coronavirus-Pandemie kündigte das türkische Handelsministerium (“Ministerium”) am 20. März 2020 bestimmte Maßnahmen an, einschließlich der Verschiebung von Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung: demnach ist es den Gesellschaften gestattet, ordentliche Hauptversammlungen abzusagen, wenn das Verwaltungsorgan der Gesellschaft zuvor die Aktionäre gemäß des THGB und des Gesellschaftsvertrags eingeladen hat. Die zur Absage einer ordentlichen Hauptversammlung ermächtigten Organe sind der Vorstand in Aktiengesellschaften und die Geschäftsführer in Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Im Rahmen der Ankündigung des Ministeriums können diese Verwaltungsorgane beschließen, die bereits mit einem Beschluss angekündigte Versammlung zu verschieben; ein solcher Beschluss muss an das Direktorat des türkischen Handelsregisterblatts übermittelt und im Handelsregisterblatt veröffentlicht werden. Die Verwaltungsorgane der Gesellschaften dürfen auch die noch nicht angekündigten Hauptversammlungen verschieben.

Artikel 1527 THGB bietet den Gesellschaften auch die Möglichkeit, ein elektronisches Hauptversammlungssystem einzuführen. Das Ministerium rät den Gesellschaften, deren Gesellschaftsvertag Bestimmungen enthält, die ein solches System ermöglichen, ihre Hauptversammlungen elektronisch unter physischer Anwesenheit einer möglichst geringen Anzahl von Aktionären abzuhalten, um die soziale Distanzierung aufrechtzuerhalten, die zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus unerlässlich ist.

Wenn eine Gesellschaft in ihrem Gesellschaftsvertag keine Bestimmung zur Einführung eines elektronischen Hauptversammlungssystems enthält, kann diese Gesellschaft im Rahmen der Maßnahmen des Ministeriums ihre Versammlungen möglicherweise trotzdem über das “Elektronische Generalversammlungssystem” (“e-GEM”) und das “Elektronische Vorstandssystem” (“e-BDS”) abhalten. Die Möglichkeit dazu wird von Merkezi Kayıt Kuruluşu Anonim Şirketi (“MKK”) – dem zentralen Wertpapierdepot der türkischen Kapitalmärkte – geboten. In diesem Fall wären die Gesellschaften verpflichtet, ihren Aktionären die Möglichkeit zu geben, elektronisch an Versammlungen teilzunehmen. Es wird auch empfohlen, dass die Gesellschaften ihre Gesellschaftsverträge ändern, indem sie die Möglichkeit übernehmen, ihre Hauptversammlungen elektronisch abzuhalten.

Gemäß Artikel 1527 THGB müssen Borsa Istanbul-notierte Gesellschaften in ein System bereitstellen, mit dem ihre Aktionäre auf elektronischem Wege an der Hauptversammlung teilnehmen können. Das am 1. Oktober 2012 eingeführte e-GEM wurde für alle Aktiengesellschaften in der Türkei entwickelt, ist jedoch für nicht börsennotierte Gesellschaften optional. Bei e-GEM führen Emittenten, Aktionäre, Stimmrechtsvertreter und zwischengeschaltete Institute alle Transaktionen vor, während und nach der Hauptversammlung mit ihren digitalen Signaturen durch. Mit e-GEM können Aktionäre Transaktionen ohne Aktienblockierung durchführen, Abstimmungsanweisungen erteilen, einen Vertreter ernennen, die Versammlung live verfolgen, Fragen stellen und Meinungen äußern, ihre Stimmen abgeben und sofortige Benachrichtigungen zu all diesen Verfahren von überall mit einer Internetverbindung erhalten.

e-BDS zielt darauf ab, dass die Versammlungen des Vorstands auf sichere Weise elektronisch abgehalten werden, und ermöglicht die Teilnahme an Versammlungen über Audio- und/oder Videoübertragung, Stimmabgabe, Übermittlung von Meinungen und Empfehlungen, Unterzeichnung von Entscheidungen innerhalb der sicheren elektronischen Umgebung, und Reduzierung der Kosten. Die Mitglieder des Vorstands können ihre Meinungen äußern und ihre Stimmen über die elektronische Umgebung abgeben. Gesellschaften können sich dafür entscheiden, die elektronische Unterzeichnung der Entscheidungen des Vorstands zu ermöglichen, ohne eine elektronische Versammlung abhalten zu müssen.

Nach Artikel 390 Absatz 4 THGB können Entscheidungen des Vorstands mit schriftlicher Zustimmung der Mehrheit der Gesamtzahl der Mitglieder auf Vorschlag eines der Mitglieder des Vorstands in Form einer Entscheidung getroffen werden, es sei denn, eines der Mitglieder möchte eine Versammlung abhalten. Die Gültigkeit solcher Entscheidungen, die allgemein als Umlaufbeschluss bezeichnet werden, hängt von der Vorlage des Vorschlags zur Zustimmung aller Vorstandsmitglieder ab. Gemäß des ersten Absatzes desselben Artikels gilt das Verfahren auch, wenn eine Gesellschaft ihre Vorstandsversammlungen elektronisch abhält. Daher wird es möglich sein, Umlaufbeschlüsse elektronisch zu treffen.

Die Maßnahmen des Ministeriums zur Verschiebung von Generalversammlungen sind im Rahmen des Artikels 553 THGB besonders wichtig, der die Gesellschaftsgründer, Vorstandsmitglieder, Manager und Liquidatoren haftbar macht, wenn sie ihren Verpflichtungen aus dem Gesetz oder dem Gesellschaftsvertrag nicht nachkommen; es sei denn, sie beweisen, dass sie nicht schuld sind. Unter normalen Umständen kann ein Mitglied des Verwaltungsorgans, das einen Verlust verursacht, weil es die Hauptversammlung nicht einberufen hat, einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt sein. In der gegenwärtigen Situation wäre ein Mitglied des Verwaltungsorgans jedoch nicht dafür verantwortlich, die Aktionäre nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist zur Hauptversammlung einberufen zu haben, da die Verschiebung dieser Versammlung durch die Maßnahmen des Ministeriums zulässig ist.